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Meersalz

„Mehr Salz”

sage ich, als der pescado frisch vom Grill an unseren Tisch kommt. Alles ist perfekt, der Tisch direkt mit Blick aufs Meer, aber es fehlt etwas. Wir sitzen in der Sonne, es ist der letzte Tag vor unserer Abreise. Und diese Stunden genießt man doppelt. Man saugt jede Bewegung, jeden Geruch, jedes Bild förmlich in sich ein, um es abzuspeichern für den grauen Winter in Berlin.


Jeder Moment ist in sich vollkommen, doch der Fisch braucht etwas Salz. Ich ordere beim Kellner „un poquito sal” und bekomme dazu noch Pfeffer und das gute spanische Olivenöl, was mit dem Brot zu dieser Urlaubserinnerung verschmilzt, die auch das stärkste Gedächtnis in den Berliner Wintermonaten nicht wieder hervorzaubern kann.

Sal(z) aus dem Meer, sal de mar, der Fisch schwimmt im Wasser und ich lasse mir sein Fleisch auf der Zunge zergehen. Dekadent, mit einem vino auf der Terasse um 14.30 Uhr, beste spanische Mittagszeit. Wie jedes Mal stelle ich mir die Frage, warum ich eigentlich nicht hier lebe.


Die Haut brennt etwas, denn ich habe mich nach dem Bad im Meer nicht abgeduscht. Das Salz liegt wie ein feiner Film auf mir und dringt fast schmerzhaft in meine Poren ein. „Du gehörst hierher”, möchte mir das Meer in meinen Körper rufen:

„Warum hörst du mich nicht? Wie laut muss ich denn noch werden?”

„Porque no me escuchas?” Ich höre dem Tischgespräch nicht zu. Meine Konzentration liegt beim Fisch in meinem Mund und dem Salz auf meinem Körper, der sich allmählich der Umgebung anpasst. Wie Wasser sitze ich im Stuhl, bereit, von der Sonne aufgenommen zu werden und für immer mit ihr zu verschmelzen.


Das Meer rauscht, jede Welle dringt in mein Ohr, unumstößlich diese Sehnsucht nach mehr Meer – ich gehöre hierher, resoniert mein Innerstes – doch für die Stimme meines Herzens sind meine Ohren taub. Ich verlege meine Aufmerksamkeit lieber in den Mund und schlinge runter, was sonst zu schwer zu verdauen wäre: Die innere Zerrissenheit und die Gewissheit: „Wenn du zurückkehrst, bist du am falschen Platz. Du wirst dich daran gewöhnen, sicherlich, doch es bleibt das Salz, was bis in deine Zellen drang. Denn du bist ein Kind des Meers, geboren im Süden und du kannst es nicht vergessen und verleugnen. Vertan auch die Versuche, deine Heimat abzutun mit Urlaubsplänen für's nächste Jahr.”

„Bleib!”

raunt das Meer und es folgt der queso con uvas als Nachtisch, um mich weiter zu quälen. Mehr geht nicht, denn Meer bist du. Überall in mir, doch zu weit weg, wenn ich nicht in dir bin und bei dir und in deiner Nähe, so dass ich dich spüre, höre, fühle …


Mas sal … der Kellner nimmt das Salz und bringt die Rechnung. Wir zahlen zusammen, natürlich, denn wir sind eine Familie. Das Meer glitzert still vor sich hin und lächelt mir zu:

„Trau dich!”

und das Salz in mir wird flüssig und zerrinnt in meinem Blut. Meersalz in mir!

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